Trends im Tattoo&Piercing Business
Welche Trends im Tattoo&Piercing Business prägen unser Leben eigentlich nachhaltig? Sicher: REACH hat die Tattoo-Branche ordentlich durchgerüttelt und lässt die meisten von uns immer noch nicht los. Dabei sind die Veränderungen durch REACH aus unserer Sicht überschaubar im Vergleich zu weit grundlegenderen Veränderungen, die kaum Beachtung finden.
Denn über eines sollten wir uns im Klaren sein: Es wird immer eine Tinte (oder Schmuck) geben, die man mit Nadeln welcher Art auch immer in die Haut befördern kann. Doch ohne Kunden, die ihre Haut (und ihr Geld) zur Verfügung stellen, geht in unserer Branche gar nichts.
Das mag trivial klingen, doch zeigt die europäische Geschichte der Tattoo-Kultur deutlich, wie sehr unser Geschäft den Schwankungen von Mode und gesellschaftlichen Normen unterliegt. Kurz gesagt: nicht die Echa, Parlamente, oder Verbände, sondern…
Der Kunde sagt, wo’s lang geht
Und hier erleben wir in den letzten Jahren massive Veränderungen:
- weg vom Anbieter-Markt hin zum Kunden-Markt
- weg vom Statement und der Abgrenzung hin zu Trend und Lifestyle
- weg vom Underdog hinein in alle Gesellschafts- und Einkommens-Schichten
Das mag man finden, wie man will. Wenn man es mit seinem Beruf des Tätowierers und Piercers aber bis zur Rente schaffen will (und darüber hinaus, siehe unseren Infoletter „Und mit 70 dann der Revolver“), wird man mit solchen Veränderungen umgehen müssen.
Zahlen und Fakten
Anhand einiger statistischer Auswertungen aus verschiedenen Studios möchten wir euch hier einige Trends im Tattoo&Piercing Business verdeutlichen. Grundsätzlich sei vorweggeschickt, dass man die nachfolgenden Aussagen nicht verallgemeinern kann – es gibt immer einzelne Ausnahmen – aber in der Breite sind doch klare Trends zu erkennen.
Warte-Toleranz sinkt
Ein Trend, der auf der Hand liegt: Je größer das Angebot, desto geringer die Bereitschaft, auf sein Tattoo/Piercing zu warten. Während z.B. in unserem Studio 2016/2017 Kunden im Schnitt ca. 150 Tage auf einen Termin warten mussten, ist dieser Vorlauf mittlerweile auf ca. 60 Tage geschrumpft:
Selbstverständlich gibt es hier eine gewisse Spreizung: Bei unserer Tara hat man ca. 1 Jahr Wartezeit und im Fineline-Bereich ca. 4 Monate. Dennoch liegt der Durchschnitt über alle Artists bei den genannten 60 Tagen. Dieser Trend zeichnet sich noch deutlicher in fast allen Studios ab, die wir ausgewertet haben.
Entsprechend sind unsere Kalender gegenüber 2016 nur noch ca. 7-8 Wochen im Voraus komplett gefüllt (gebuchte Stunden je KW):
Wie gesagt: diesen Trend sehen wir in fast allen Studio, es gibt aber durchaus Ausnahmen. Hier ein Beispiel eines Studios, dass es schafft, selbst die Kalender der gerade fertig gelernten Azubis viele Wochen im Voraus zu füllen:
Be special or be nice
Ein voller Kalender ist ein Kinderspiel, wenn man angesagt/hip ist und die Wahnsinns-Tattoos auf die Haut zaubert. Doch was heute hip ist, ist morgen von gestern. Das ist kein gutes Rezept, bis zur Rente zu kommen: Das Handwerk ändert sich, die Mode ändert sich, die eigene Gesundheit ändert sich.
Als deutlich verlässlicher und beständiger hat sich hier schon immer ein guter Service erwiesen. Genau das zeichnet die Studios aus, deren Buchungsquote im Gesamtvergleich positiv hervorstechen. Und je stärker man sich in Trend-Segmenten befindet (Fineline, Realistic, Piercings, etc.), desto wichtiger wird dieses Thema.
Die Welt ist online
Ein Faktor in diesem Zusammenhang ist sicherlich die Erreichbarkeit. Und hier spielt das Thema Online-Buchung eine ganz entscheidende Rolle. Über die Hälfte der Anfragen zu neuen Tattoos erhalten wir mittlerweile bei uns online:
Und betrachtet man das Zeitfenster, in dem wir die Anfragen erhalten, wird klar: Analog bzw. manuell ist dieses Pensum auf Dauer nicht machbar bzw. gesund.
Interessanterweise zeichnet sich dieser Trend auch bei den Gutscheinen ab. Alle Studios, die wir ausgewertet haben, bieten ihren Kunden sowohl Online-Gutscheine, also auch hochwertige Druckware an. Dennoch ist auch hier der Trend unverkennbar hin zu den bequemen Online-Gutscheinen, die man noch schnell am 24.12. oder auf dem Weg zum Geburtstag kaufen und sogar ganz praktisch per WhatsApp verschenken kann:
Make me happy, then I make you happy
Gutscheine sind im Übrigen immer ein guter Indikator für die Kundenzufriedenheit und -Bindung. Denn hier gibt jemand Geld dafür aus, die Freunde/Familie zu euch zu schicken. Besser kann man seine Zufriedenheit kaum ausdrücken.
Ein guter Service, von Anfang bis Ende (!), hat im Übrigen auch den Effekt, dass Kunden gerne und häufiger wiederkommen:
Und es ist immer deutlich einfacher (und günstiger), einen bestehenden Kunden zu halten, als einen neuen Kunden zu gewinnen. Zudem wirkt sich ein guter Service auch spürbar in der sog. Conversion-Quote aus, also wieviel Prozent der Anfragen lassen bei uns tatsächlich ihr Tattoo machen?
Hier gibt es im bundesweiten Vergleich eine deutliche Streuung abhängig von der angebotenen Stilrichtung und dem Preis. Stile mit starkem Wettbewerb (Fineline etc.) bzw. höhere Preise führen zwangsläufig zu einer geringeren Conversion-Quote.
Da gute Werbung teuer ist, guter Service in vielen Punkten hingegen sogar kostenlos, sollte auf der Hand liegen, wo die Prioritäten eines Studios liegen sollten.
Immer noch ein junges Business
Alle statistischen Erhebungen der letzten 20 Jahre in unserer Branche haben immer wieder gezeigt, dass die Haupt-Zielgruppe unter 25 Jahre alt ist.
Entsprechend leicht (und schmeichelhaft) ist es, in unserer Branche hip zu sein, wenn man zu dieser Zielgruppe gehört. Wer auf so einer Erfolgswelle reitet, und dies nicht nutzt, etwas aufzubauen, dass einen auch trägt, man aus Sicht der Kunden eher zur Altersgruppe der Eltern gehört, verdient im Alter kein Mitleid.
Wohl gemerkt: Das Durchschnittsalter unterer Tätowierer*innen liegt bei 37 Jahren und Tara, als Inhaberin, bietet fast ausschließlich asiatische Groß-Format-Tattoos an, dennoch ist nahezu die Hälfte unserer Kundschaft unter 25.
Und auch, wenn die ältere Kundschaft evtl. mehr Geld hat, so macht die jüngere Kundschaft bis 30 doch immer noch über die Hälfte unseres Umsatzes aus.
Das bedeutet: Auch wir als etabliertes Studio (und Artists) sind auf die junge Kundschaft angewiesen, um unsere Rechnungen bezahlen zu können.
Wer also glaubt, sein Leben lang das tun zu können, was in seiner/ihrer Jugend angesagt war, wird definitiv Schiffbruch erleiden.
Das und noch viel mehr auf der BMXnet
Falls dieser Infoletter dein Interesse und deine Neugier auf mehr geweckt haben sollte, können wir dir unsere Vorträge auf der diesjährigen BMXnet in Berlin (7.-10. Sept. 2023) ans Herz legen. Wir würden uns freuen, euch dort zu sehen.
Euer