REACH konkret
Am 4. Januar haben die Kollegen von Feelfarbig ein recht interessantes Interview mit dem Anwalt Martin Ahlhaus, Experte für Fragen des Chemikalien- und Stoffrechts, zum Thema REACH veröffentlicht. Wir haben für euch nochmals bei Herrn Ahlhaus von der Produktkanzlei Augsburg und anderen Experten nachgehakt, um zu klären, was denn nun REACH konkret für euch bedeutet.
Drei Dinge vorab:
- Wir schreiben hier nur, wie’s ist, wir haben diese REACH-Verordnung nicht verfasst. Also bitte nicht auf uns sauer sein.
- Diesen Artikel solltet ihr unbedingt bis zum Ende lesen!
- Auch hier wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
REACH Verordnung (2022) und Pigment-Verbot (2023) sind zwei Paar Schuhe
Da dies immer noch durcheinandergeworfen wird, hier nochmal zur Klarstellung: bei der aktuell in Kraft getretenen REACH-Verordnung geht es NICHT um das Pigment-Verbot (Blue-15, Green 7). Vielmehr wurden in der Tat gefährliche (karzinogene) Zusatzstoffe verboten. Klar, wie immer wurde etwas über das Ziel hinausgeschossen, aber grundsätzlich ist diese Verordnung nicht ganz so unbegründet.
Strafbar auch ohne konkrete Verordnung in Deutschland
Auch wenn es zu der europäischen Verordnung noch keine deutsche Konkretisierung/Verordnung gibt, ist die REACH-Verordnung dennoch mit Wirkung zum 4.1.2022 gültig und rechtlich bindend in allen EU-Ländern. Zwar ist hier für Deutschland noch kein Strafmaß bei Verstößen festgelegt, dennoch gilt: Wer ab dem 4.1.2022 nicht REACH-konforme Farben tätowiert begeht eine gefährliche Körperverletzung und macht sich in diesem Sinne auf jeden Fall strafbar.
Entsorgung alter Farben dokumentieren
Damit ist man als Tätowierer bzw. Studio-Inhaber auch seit dem 4.1.2022 verpflichtet, alte Farben zu entsorgen und dies entsprechend zu dokumentieren, um eine verbotswidrige Verwendung verlässlich auszuschließen. Da es sich bei den Farben nun jedoch um Gefahrengut handelt (gefährliche Inhaltsstoffe), sollte man besser kein Video davon veröffentlichen, wie man diesen Sondermüll einfach im Hausmüll entsorgt. Dies ist KEIN geeigneter Nachweis.
Richtig hingegen wäre: Meldet bei eurem lokalen Abfallentsorger eine Sondermüllentsorgung (Kleinstmengen) an, bringt eure Farben dort vorbei und lasst euch dies quittieren, inkl. konkreter Benennung (z.B. „47 Flaschen Tätowierfarbe unterschiedlicher Hersteller“). So habt ihr auch gleich einen geeigneten Entsorgungsnachweis.
Sorgfaltspflicht: Ein Label „REACH-Konform“ genügt nicht
Doch nun braucht ihr natürlich neue, REACH-konforme Farben. Da weist der Experte Ahlhaus, der sich seit 15 Jahren mit der REACH-Verordnung befasst, zurecht darauf hin: „Ein Zertifikat des Verkäufers entbindet den Erwerber nicht von einer eigenen Überprüfung.“ Doch wie sieht so eine Überprüfung aus?
In der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Anhang XVII, Punkt 75, Unterpunkt 7 wurde konkret festgelegt, wie eine REACH-Konformen Tätowierfarbe seitens des Herstellers zu dokumentieren ist. Folgende Dinge müssen demnach auf der Flasche, Verpackung oder einer separaten Gebrauchsanweisung (falls Flasche und Verpackung zu klein sind) der Tattoo-Farbe stehen:
- Der Text „Gemisch zur Verwendung in Tätowierungen oder Permanent-Make-up“.
Aussagen wie „EU-Compliant“ oder „REACH-Konform“ genügen nicht. - Eine Referenznummer zur eindeutigen Identifizierung der Charge
- Ein Verzeichnis der Inhaltsstoffe
- Sicherheitshinweise für die Verwendung (Lagerung, Haltbarkeit, Haltbarkeit nach Öffnung, …)
- Der Hinweis: „Enthält Nickel. Kann allergische Reaktionen hervorrufen.“
- Der Hinweis: „Enthält Chrom (VI). Kann allergische Reaktionen hervorrufen.“
Weiterhin muss der Hersteller in der Regel ein sogenanntes Sicherheitsdatenblatt (SDB oder SDS) zu jeder seiner Farben veröffentlichen, in der auf evtl. Gefahren und deren Handhabung hingewiesen wird. Und all das in der Sprache des Landes, in der die Farbe in Verkehr gebracht wird, also bei uns auf Deutsch.
Von einem Tätowierer können nun im Sinne der Sorgfaltspflicht folgende Dinge erwartet werden:
- Sind die Angaben zu der Tätowierfarbe so, wie gefordert (und oben beschrieben)?
- Sind die Angaben plausibel? Also finden sich evtl. Gefahrenhinweise auf der Flasche (Gefahrensymbole) auch in dem SDB wieder und umgekehrt?
Ist einer diese Punkte nicht erfüllt, könnt Ihr davon ausgehen, Euch einem Haftungsrisiko auszusetzen, wenn ihr diese Farben dennoch verwendet. Egal ob im Studio oder privat.
Ob eine Farbe von den Inhaltsstoffen REACH-Konform ist, kann glücklicher Weise nicht von euch erwartet werden. Hier könnt (und solltet) ihr euch auf eure Supplier innerhalb der EU verlassen, die als Importeure dafür haften. Bestellt ihr jedoch Farben aus dem Nicht-EU-Ausland, seid ihr in dieser Haftung.
Dokumentationspflicht von Tattoo-Farben
Ihr solltet jetzt nicht aufhören, zu lesen, denn es kommt noch dicker! Folgender kleiner Absatz findet sich noch in der Verordnung:
„Vor der Verwendung eines Gemisches zu Tätowierungszwecken hat die Person, die das Gemisch verwendet, der Person, die sich dem Verfahren unterzieht, die gemäß diesem Absatz auf der Verpackung oder in der Gebrauchsanweisung vermerkten Informationen zur Verfügung zu stellen.“
Herr Ahlhaus wies hier nochmals ausdrücklich darauf hin: Nach geltender Rechtsauffassung bezeichnet „zur Verfügung zu stellen“ einen aktiven Vorgang. Es genügt also nicht, die Informationen zu den verwendeten Tattoo-Farben (von Flasche, Verpackung oder Gebrauchsanweisung) einfach in einer Mappe auf der Theke auszulegen oder der eigenen Website zu veröffentlichen. Ein Versand diese Informationen vor dem Termin per Email wäre zwar möglich, müsste dann aber auch die konkreten Informationen beinhalten (welche Farben wurden beim Termin tatsächlich verwendet mit welcher Chargennummer und Haltbarkeit) und da wird’s schwierig.
Im Klartext bedeutet dies vielmehr, dass ihr bei jedem Termin eure Kunden aktiv über die verwendeten Farben, deren Inhaltsstoffe, mögliche allergische Risiken, Hinweise zur Verwendung, Haltbarkeit und Chargennummer informieren müsst. Und um dies im Streitfall auch belegen zu können, sollte man das natürlich dokumentieren.
Nun wird sich der eine oder andere fragen, wer das denn überhaupt kontrolliert. Das ist ein berechtigter Einwand. Das Risiko steckt jedoch eher in der Haftung: Wenn es zu einem Rechtsstreit mit einem Kunden kommt, ist es für den Anwalt der Gegenseite bei fehlender Dokumentation dieser Information nun ein Leichtes, Mängel in der Sorgfaltspflicht nachzuweisen. Dem Tätowierer könnte sogar unterstellt werden, dass illegale Farben verwendet wurden. Da ein Verstoß gegen die REACH-Verordnung einer gefährlichen Körperverletzung gleichkommt, wird damit die Dokumentation der Information über verwendete Farben mindestens genauso wichtig, wie die allseits bekannte Einverständniserklärung. Tätowierer UND Studio droht ansonsten im Streitfall zumindest eine Teilschuld (siehe unseren Artikel „Studios haften für Artists“).
Und da die besagten „Informationen“ auch Chargennummer sowie Haltbarkeitsdatum enthalten, bedeutet dies faktisch, dass man um eine Dokumentation aller verwendeter Farbe je Tattoo-Termin nicht mehr herumkommt.
Und für die Schlaumeier:
- Nachträglich schnell ein Foto irgendwelcher Farbfläschchen nachzureichen, wird schwierig aufgrund von Chargennummer und Haltbarkeitsdatum.
- Wer in Zukunft meint, die Farbdokumentation brauch man nicht, kann sich eigentlich auch die Einverständniserklärung sparen.
Dennoch einfacher umsetzbar, als befürchtet
Doch es besteht kein Grund, in Panik zu verfallen. Man kann die Informationspflicht einfach in zwei Schritte aufteilen:
- Auf der Einverständniserklärung ergänzt man einen Passus zum Ankreuzen durch den Kunden: „Ich bestätige, dass mir die nach der geltenden REACH-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 gebotenen Informationen zu den verwendeten Tätowierfarben zur Verfügung gestellt wurden. Angaben zur Haltbarkeit sowie Charge erhalte ich (aus Gründen der Praktikabilität) beim Tätowiervorgang selbst.“
Am Ende der EVE hängt man dann einfach ein, zwei Seiten an mit der Liste aller Farben aus dem eigenen Bestand, egal, ob diese beim Termin verwendet werden, oder nicht. Die Liste sollte zu jeder Farbe folgende Informationen enthalten: Hersteller, Name der Farbe, Inhaltsstoffe sowie Hinweise zur Verwendung und Gefahren. - Nach dem Termin stellt man alle verwendeten Farbfläschchen so in einer Reihe, dass man Chargennummer und Haltbarkeitsdatum gut sehen kann, macht ein Foto davon und legt es zum Kunden und Termin ab.
Alternativ zu so einem Foto erstellt man sich ein Formular mit der Liste der Farben aus seinem Bestand inkl. Haltbarkeit und Chargennummer und muss dann nur noch diejenigen ankreuzen, die bei dem Termin zur Anwendung kamen.
Doch Vorsicht mit den Fotos/Formularen: Evtl. Klagen von Kunden trudeln oft erst mehrere Monate bis hin zu Jahren nach dem eigentlichen Termin herein. Daher ist eine ordentliche Ablage entscheidend, damit man die Farbdokumentation auch noch nach 1-2 Jahren sicher wiederfindet. Und als Studio-Inhaber auch dann, wenn der Artist gar nicht mehr da ist.
Wünschenswert wäre, dass die Farbhersteller auf Ihren Webseiten eine Liste ihrer Farben mit Namen, Inhaltsstoffen sowie Hinweisen zur Verwendung und Gefahren für Ihre Kunden zum Download zur Verfügung stellen. Das würde das Leben aller erheblich erleichtern.
Wir bieten die Lösung
Kisscal Kunden haben es hier leicht: Mit wenigen Fingertipps kann ich (z.B. mit meinem Tablet) zu einem konkreten Termin ein Foto der Farben machen. Oder, als kissSign Kunde, verwende ich ein vorgefertigtes Formular zur Termindokumentation. Ganz einfach digital (am Tablet) ausfüllen und rechtssicher unterzeichnen. Dabei erhält der Kunde automatisch eine Kopie der Dokumentation per Email, also alles komplett papierlos. Die Ablage zu Kunde und Termin/Projekt erfolgt selbstverständlich ebenfalls voll automatisch.
So kann ich auch als Studio-Inhaber selbst nach Jahren einfach nach einem Kunden suchen, auf dessen Termin klicken und schon habe ich alle Farb-Dokumentationen zu diesem Tattoo.
Und selbstverständlich passen wir unsere Formulare und Einverständniserklärungen aus unserem Sorglospaket umgehend an, um euch das Leben leichter zu machen. 😉