Neue Farben – neue Probleme
Neue Farben – neue Probleme. Sowohl aus eigener Erfahrung, als auch aus zahlreichen Berichten von Kollegen wissen wir, dass es mit einigen neuen Tattoo-Farben (REACH) vermehrt zu Komplikationen im Heilungsprozess kommt. Betroffen sind vor allem die bunten Farben, weniger die Schwarz-/Grau-Töne. Was es damit auf sich hat und wie schwerwiegend diese Komplikationen sein können, darüber möchten wir euch hier berichten.
Denn mit den neuen REACH Verordnung gibt es auch neue Tattoo-Farben mit neuer Rezepturen. Und es kam genauso, wie befürchtet: Bewährte Inhaltsstoffe mussten oftmals durch unerprobte, aber nach REACH zugelassene Alternativen ersetzt werden. Dabei kamen unter anderem auch Stoffe zum Einsatz, die eigentlich nach der deutschen Farbmittel-Verordnung seit langem verboten sind. Dies mag erklären, warum diverse neue Farben, obwohl REACH konform, von den großen deutschen Suppliern immer noch nicht angeboten werden. Die Folge sind vermehrt allergische Reaktionen bis hin zu schwerwiegenden Immun-Komplikationen, sog. Granulomen.
Angesichts der bevorstehenden nächsten Änderung der Farb-Rezepturen (Blue 15, Green 7) sowie dem möglichen Verbot von Titanperoxyd (Weiß), muss befürchtet werden, dass uns diese Problematik noch eine Weile begleiten wird.
Wir hatten Gelegenheit, mit einer Expertin in diesem Gebiet ein Interview zu führen. Denn für viele, jüngere Mietglieder der Branche sind solche gesundheitlichen Probleme evtl. noch komplettes Neuland. Entsprechend verunsichert ist man, wenn man plötzlich damit konfrontiert ist. Was ist vergleichsweise harmlos und was bedarf dringend ärztlicher Versorgung?
Interview mit Katharina Herberger, Dermatologin Uniklinik Hamburg
Zur Person und ihre Tätigkeit
Katharina Herberger ist Dermatologin und Leiterin der Laserabteilung der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf. Neben der Behandlung mit den verschiedenen Lasersystemen baut sie zudem seit 2019 eine Forschungsabteilung u.a. zu Tattoo und Haut auf, ein praxisnahes Forschungsfeld, in dem untersucht wird, was mit den Tattoo-Farben in der Haut konkret geschieht. Man nutzt dafür einen Multi-Photonentomographen (sogenannter 5D Laser), mit dem es möglich ist, ohne biopsieren zu müssen, in die Haut und die Stoffwechselprozesse zu schauen.
Im praktischen Alltag beschäftigt sie sich jedoch auch mit akuten Hauterkrankungen, die eine fachärztliche Behandlung bedürfen und damit unter anderem auch mit Tattoo-Entfernungen, wobei der überwiegende Teil unerwünschte Motive/Tattoos sind. Echte Problem-Fälle treten nicht sehr häufig auf, etwa 2-4 pro Monat, was angesichts des großen Einzugsgebietet keine besonders große Zahl ist. Auch lässt sich hier – trotz wachsender Beliebtheit von Tattoos – bislang keine Zunahme der Fälle in der jüngsten Zeit erkennen. Inwieweit sich dies noch verändert, bleibt abzuwarten.
„Wir sehen in der Regel nur eine Negativ-Auslese der Tattoos, die es so gibt, also solche, die man bestenfalls gar nicht erst hätte stechen sollen. Wirklich gute gearbeitete Tattoos sehen wir so gut wie nie, was für die Branche spricht.“
In welche Bereiche lassen sich Problemfälle unterteilen?
„Grundsätzlich lassen sich aus der praktischen Erfahrung unserer Abteilung der Uni-Klinik Hamburg diese Fälle unterteilen in
- Entzündliche Reaktionen (Bakterien, Viren)
Diese treten kurz nach dem Tätowieren auf und sind auf Eindringen von Bakterien in die offene Wunde zurückzuführen. Dies muss nicht an einer unsauberen Arbeitsumgebung des Tätowierers liegen, sondern kann z.B. auch auf eine geschwächtes Immunsystem zurückzuführen sein. - Mykobakterielle Infektionen
In den letzten Jahren werden zunehmend über Infektionen mit sogenannten Wasserkeimen berichtet, den atypischen Mykobakterien, die zu knotigen Entzündungen führen. Diese Infektionen können auch erst einige Wochen nach dem Tätowieren auftreten und sind meist auf Verunreinigungen im genutzten Trinkwasser zurückzuführen. Für den Verzehr sind diese unbedenklich, in frische Wunden eingebracht können sie jedoch Probleme machen. - Granulome / Dermale Sarkoidose
Bei dieser entzündlichen Erkrankung handelt es sich um eine Multisystemerkrankung, bei der es zu Granulombildung unter anderem an der Haut kommen kann. Dabei stört sich der Körper an bestimmte Fremdstoffe und baut einen Wall von Immunzellen darum auf. Diese sind als Papelchen oder erhabene Hautstelle zu erkennen, gehen oft mit Juckreiz einher und können sich auch entzünden. Diese können auch erst viele Jahre nach dem Tätowieren auftreten. Wichtig ist, dass die Betroffenen ärztlich auf Beteiligung anderer Organe untersucht werden sollten! - Allergische Reaktionen
Auch diese können erst nach vielen Jahren auftreten (z.B. chemische Veränderung durch UV-Einstrahlung oder photoallergische Reaktion, also nur in Verbindung mit UV-Einstrahlung). Hier gibt es ebenfalls verschiedene Theorien, was die Ursachen angeht. Grundsätzlich kann man gegen alle Stoffe Allergien entwickeln.
- Tumore
Solche, sehr seltene Fälle (insgesamt 50 beschriebene Fälle in den letzten 50 Jahren) landen meist dann in der Hautklinik, wenn Hautkrebs zu spät erkannt wurde, weil er sich in stark tätowierten Hautbereichen entwickelt hat. Dabei muss nicht einmal zuvor eine Pigmentveränderung an der betreffenden Stelle existiert haben.
Bei Punkt 3. Und 4. müssen bei hartnäckigen Problemen die betroffenen Hautteile entfernt werden, bei Punkt 5. sowieso.“
Wie häufig treten welche Komplikationen auf?
„Fälle von Nadeltrauma oder Pigment-Overload verbleiben meist in der Behandlung der Haus- und lokalen Hautärzte. Was die Häufigkeit dieser Komplikationen angeht, gibt eine Auswertung aus zwei Kohortenanalysen (Auswertung von größeren Gruppen untersuchter Tätowierter) Auskunft“ (aus „Tätowierungen – Heterogenes Spektrum an dermatologischen Komplikationen“, ästhetische Dermatologie & Kosmetologie 01 2022):
- bakterielle Infektionen 1 % (493) Serup et al. 2016 [45]
- virale Infektionen 1 % (493) Serup et al. 2016 [45]
- mykotische Infektionen selten Schwob und Kluger 2020 [31]
- Granulome/Sarkoidose 6 % (493) Serup et al. 2016 [45]
- allergische Reaktionen 37 % (493) Serup et al. 2016 [45]
- Hauttumore selten, Kausalität unklar Kluger und Koljonen 2012 [42]
- Nadeltrauma 6 % (702) Hutton et al. 2020 [13]
- Pigmentüberladung 9 % (702) Hutton et al. 2020 [13]
Welche präventiven Maßnahmen sind angeraten?
Nicht alles liegt in dem Einflussbereich und der Verantwortung der Tätowierer*innen, aber das eine oder andere kann man schon tun.
- Entzündliche Reaktionen (Bakterien, Viren)
Hier gilt es, die geltenden Hygiene-Richtlinien einzuhalten. Die Praktische Erfahrung von Frau Herberger zeigt, dass professionelle Studios hier bereits ein sehr gutes Niveau haben. - Mykobakterielle Infektionen
In ihrer eigenen Praxis arbeitet man zur Wundversorgung mit sterilem Wasser. Dabei lassen sich entsprechende Filter-Systeme direkt an der Wasserleitung (z.B. unter dem Waschbecken) montieren. - Granulome/Sarkoidose
Leute mit Autoimmun-Erkrankungen haben hier ein deutlich erhöhtes Risiko und sollten nicht tätowiert werden. Die Rot-Pigmente (in der Vergangenheit, Eisen-/Nickel-Oxid heute oft Azo-Pigmente) sind im Zusammenhang mit Granulomen besonders auffällig. Es empfehlen sich Tattoo-Farben, die auf diese Stoffe gänzlich verzichten. - Allergien
Je stärker andere Allergien bei einer/m Kund*in ausgeprägt sind, desto höher ist auch das Risiko allergischer Reaktionen gegen einen der vielen Stoffe, die beim Tätowieren in die Haut eingebracht werden. Vorsicht an dieser Stelle mit Haut-Desinfektionsmittel: Nicht alle dürfen über Nadeln in die Haut eingebracht werden (Stichwort Wundhöhle im Beipackzettel, z.B. Octenisept/Octenidin). Ebenso Vorsicht mit Aluminium Hydroxychlorid (oft in Tattoo Finish enthalten), da dies stark reizend ist. - Tumore
Auch an dieser Stelle ist vor Azo-Pigmenten zu warnen. Diese gehören zu den aromatischen Aminen und die sind bekanntlich krebserregend. Das Problem: Bislang sind nur bestimmte Azo-Pigmente verboten, jedoch bei weitem nicht alle, die sich auf dem Markt befinden.
Aus JDDG, Artikel vom 17.8.2020 “Tattoos – more than just colored skin? Searching for tattoo allergens”: „However, another group, the azo pigments, are still most commonly used. They span the yellow to red color range and are composed of condensed aromatic amines, which are often carcinogens or sensitizers.“
Als Faustregel gilt also die altbewährte Regel: Je weniger Inhaltsstoffe eine Tattoo-Farbe hat, desto besser für die Gesundheit (so wenig wie möglich, so viel wie nötig).
Euer