Der Glaubenskrieg: Anzahlung oder Terminkaution?

Uns ist in letzter Zeit immer wieder zu Ohren gekommen, dass es zu diesem Thema äußerst widersprüchliche Aussagen von verschiedenen Seiten gibt. Entsprechend groß ist die Verunsicherung in der Branche. In diesem Beitrag möchten wir zu diesem Thema nun Klarheit schaffen und haben daher Fachanwälte, Steuerberater, Finanzamt, Rentenkasse und viele Kollegen mit einbezogen. Zugegeben, es ist recht viel Text aber wir denken, es lohnt sich!

Das war schon immer so

Seit vielen Jahren ist es in unserer Branche üblich, zur Vermeidung von Terminausfällen Anzahlungen zu nehmen. Kommt ein Kunde nicht zum Termin oder sagt zu kurzfristig ab, ist die Anzahlung futsch. Neue Termine gibt es erst gegen eine neue Anzahlung. Das hat in der Regel prima funktioniert, vor allem in Zeiten, als alles noch recht hemdsärmelig war. Und was lange funktioniert hat, kann ja nicht falsch sein, oder?

Das ist leider so nicht ganz korrekt. Denn der Begriff der Anzahlung ist rechtlich definiert und bringt somit einige Regelungen mit sich. Vom Wesen her handelt es sich stattdessen eher um eine Terminkaution (siehe auch den Artikel des Metalanwaltes auf der Website der KKP Rechtsanwälte). Rechtlich ist eine Anzahlung klar definiert als Vorauszahlung (bzw. Kredit) auf Grundlage eines Leistungsversprechens (BGB § 320 Abs. 2 sowie BGB § 336), eine Terminkaution (kurz TK) hingegen sichert einen Termin gegen einen Ausfall ab. Erbsenzählerei mag man nun sagen, aber dieser kleine Unterschied hat durchaus weitreichende Folgen.

Das Leistungsversprechen

Das Gesetzt (BGB § 648) sieht bei Terminausfällen/-Absagen zwar eine Vergütung des Lieferanten vor, jedoch zunächst einmal nur in Höhe von 5% des vereinbarten Betrages (bei einem Sitzungspreis von 300,- € also gerade mal 15,- €). Einen höheren Anspruch (Schaden) müsste man zunächst einmal nachweisen. Üblicher Weise sind das die Arbeiten an den Entwürfen. Kommt es nun jedoch zu dem Fall, dass eine Anzahlung (höher als 5% des vereinbarten Preises) einbehalten wird, hat der Kunde einen Anspruch auf Gegenleistung, in eurem Fall also auf eure Entwürfe. Will man das?

Wollt ihr das vermeiden, müsst ihr entsprechende Vereinbarungen mit eurem Kunden treffen. Vorsicht an dieser Stelle mit „versteckten Vereinbarungen“ in den AGB, diese werden u.U. vor Gericht als ungültig angesehen (siehe BGH, Urteil vom 07.03.2013 – VII ZR 162/12). Dennoch läuft man evtl. Gefahr, dass die Umwidmung des Begriffs Anzahlung – der ja ein rechtlich definierter Begriff ist – evtl. als nicht rechtsgültig eingestuft wird (Benachteiligung des Kunden, …).

Bei 50,- € Anzahlung rennt sicherlich keiner deswegen zum Anwalt. Doch 50,- € sind keine wirkliche Entschädigung für einen kompletten Terminausfall. Daher erheben Studios mittlerweile höhere Anzahlungen (100,- € oder mehr) und da wird es dann schon interessant.

Die Alternative

Dieses Risiko sowie umständliche und unsichere Formulierungen in den Terminvereinbarungen zur Anzahlung, kann man sich ganz einfach sparen, wenn man stattdessen den Begriff der Terminkaution verwendet, was noch weitere Vorteile hat.

Mit oder ohne Umsatzsteuer?

Da einer Anzahlung immer ein Leistungsversprechen gegenübersteht, ist sie sofort umsatzsteuerpflichtig. Bei ca. 75 laufenden Tattoo-Projekten und, sagen wir mal, 100,- € Anzahlung je Projekt sind das bereits knapp 1.200,- € Umsatzsteuer je Artist. Und wichtig: die Umsatzsteuer wird beim Kassieren der Anzahlung fällig, also auch für die Anzahlungen, die ihr für evtl. Guest-Artists entgegennehmt! Die berühmte Anzahlungskasse in der Schublade kann euch bei einer Steuerprüfung böse auf die Füße fallen.

TK hingegen sind umsatzsteuerfrei. Es handelt sich bei ihnen um Sicherheitsleistungen, denen keine Wahre oder Leistung gegenübersteht. Sie sind vielmehr eine Einlage, deren Eigentümer nach wie vor der Kunde ist. Sie werden, formell betrachtet, beim (letzten) Termin wieder an den Kunden ausbezahlt, der seinerseits damit dann die Leitung des Tätowierers (ganz oder teilweise) bezahlt (nun natürlich umsatzsteuerpflichtig). Einbehaltene (formal korrekt: verfallene) TK wegen Terminausfällen bleiben hingegen komplett Umsatzsteuerfrei! Und für entgegengenommene TK eurer Guest-Artist fällt natürlich auch keine Umsatzsteuer an.

Bei der Umstellung von Anzahlungen auf TK in unserem eigenen Studio (und wir sind da nicht die einzigen) erhielten wir vom Finanzamt knapp 4.500,- € Umsatzsteuer zurück. Da im Laufe des Jahre i.d.R. immer gleich viel TK eingenommen wie verrechnet werden, wirken diese 4.500,- € wie eine echte Steuerersparnis.

Viele Vorteile durch Rückstellungen

Für ein kleines One-Artist-Atelier ist das evtl. nicht so von Belang, aber für Studios mit 3, 4 oder mehr Arbeitsplätzen wird es hier schon interessant: Wenn ihr für euer Studio eine eigene Firma eingetragen habt (das solltet ihr!) und bilanziert, könnt ihr TK (und Gutscheine) über die Studiokasse laufen lassen und dafür Rückstellungen bilden. Das hat mehrere schöne Effekte:

  • Weniger Einkommenssteuer
    Wird für TK ein Rückstellungskonto geführt (kein Bank-Konto, sondern in eurer Bilanz durch euren Steuerberater), fällt auch die Einkommenssteuer erst beim Termin selber und nicht bereits bei Einnahme der TK. Bei einem Steuersatz von 30% EK-St. Und unserem Beispiel von vorhin sind das 2.250,- je Artist, die, wie bei der Umsatzsteuer, wie eine echte Steuerersparnis wirken.
  • Geringeres Verlustrisiko
    Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass bei Anzahlungen in Höhe von 50,- € pro resident Artist zwischen 3.000,- und 4.000,- € offene TK auflaufen. Bei höheren Kautionen entsprechend mehr. Fällt ein resident Artist aus (im Streit getrennt, Unfall, Tod, …), stehen dessen Kunden irgendwann im Studio und erwarten entweder einen alternativen Termin oder die Rückzahlung der Kaution. Natürlich könnt ihr auf eure AGB verweisen (selbständige Artists, nicht haftbar und so…), habt dann aber 75 ehemalige Kunden draußen rumlaufen, die jedem erzählen, wie scheiße euer Studio ist. Sind die TK ohnehin in der Studiokasse (bzw. auf der Bank), habt ihr das Problem erst gar nicht.
  • Einfachere Terminverschiebung
    Auch Terminverschiebungen von einem Artist zu einem anderen gestalten sich leichter. Das Übergeben der Kaution, inkl. dem damit verbundenen Dokumentieren in den Kassenbüchern der betreffenden Artists, entfällt.
  • Immer volle Bezahlung
    Wer kennt das nicht: Man hat 5 Stunden tätowier, evtl. vorher noch eine Stunden mit dem Entwurf und dem Stencil verbracht und dann zahlt der Kunde mit einem Gutschein und seiner TK. Am Ende hat man wohl möglich nur 50,- € in der Tasche. Das ist äußerst frustrierend! Führt man TK (und Gutscheine) hingegen in der Studiokasse, geht jeder Artist nach seinem Termin mit Bargeld nach Hause. Das ist zwar nur ein gefühlter Vorteil aber deswegen nicht weniger angenehm.

Scheinselbständigkeit der Resident Artists

Last but not least: Es besteht bei Anzahlungen ggf. ein erhöhtes Risiko der Scheinselbständigkeit bei resident Artists und zwar dann, wenn die Anzahlungen bis zur Verrechnung beim Termin in der Studiokasse verbleiben. Da bei Anzahlung eine Vorleistung angenommen wird, die ja vom Artist erbracht werden muss, kann das als Bevormundung ausgelegt werden. Der Artist ist dann nicht mehr im vollen Umfang weisungsunabhängig.

Das Management der Terminkautionen hingegen kann als reine Serviceleistung des Studios gegenüber den Artists in den Platzmietverträgen definiert werden, denn sie gehören ja weiterhin den jeweiligen Kunden.

Gutscheine gegen Terminkautionen/Anzahlungen

Einige Studios erstatten Terminkautionen bzw. Anzahlungen bei rechtzeitigen Absagen nur in Form von Gutscheinen. Bei Anzahlungen ist dies grundsätzlich möglich, bei der Terminkautionen kritisch. Im Grunde genommen, kann man sich bei TK das Hin und Her mit den Gutscheinen aber auch sparen: Ihr lasst eine TK einfach bei dem Kunden „stehen“ (in eurer TK-Buchhaltung) und er kann, wenn es bei ihm wieder passt, ganz einfach auch telefonisch neue Termine vereinbaren.

Und Kunden, die ihre Termine ersatzlos absagen möchten (Umzug, Krankheit, zur Konkurrenz…)? Mal ehrlich: wollt ihr jemanden zwingen, sich von euch tätowieren zu lassen? Wir nicht, daher zahlen wir in so einem Fall die TK gegen Bar wieder aus und vermeiden so jeglichen Ärger.

Wer Brötchen will, geht nicht zum Metzger

Wenn ihr euch wegen des Themas Anzahlung/Terminkaution unsicher seid, empfehlen wir: Fragt nicht euren Kollegen, euren Schwager, oder sonst wen.

  • Fragt hinsichtlich der steuerlichen Themen euren Steuerberater (leitet ihm ggf. diesen Infoletter weiter). Der muss es von Berufs wegen wissen.
  • Fragt hinsichtlich der Scheinselbständigkeit bei der zuständigen Klärungsstelle der deutschen Rentenversicherung Bund nach. Hier gibt es die Möglichkeit einer Statusfeststellung (siehe unseren Orga.-Leitfaden) oder einer gutachterlichen Stellungnahme.

Mehr Hintergründe zu diesem Thema findet ihr, wie oben schon erwähnt, zudem auf der Website der KKP Rechtsanwälte. Interessant sind sicherlich auch die unterschiedlichen Urteile zu Gebühren für verpasste Arzttermine auf der Seite der Verbraucherzentrale.

Euer
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