Am 29.3. führte die ECHA aus Helsinki ein REACH Webinar durch: „[…]to address technical questions that industry, such as ink formulators and tattoo artists, might have on the implementation of the restriction. The aim is to help those impacted to meet the new legal requirements set by Annex XVII of the EU’s chemicals legislation, REACH.“
Ich glaube nicht, dass sich viele von euch dieses Webinar angetan haben. Ich habe es und ich behaupte von mir, dass ich durch meine langjährige Arbeit bei Daimler im Umgang mit dicken (sehr dicken) technischen Spezifikationen und Vertragswerken durchaus geschult bin. Doch hier stieß ich eindeutig an meine Grenzen. Ich fühlte mich im Laufe des Vortrags immer mehr an den Film „Brasil“ erinnert (die älteren Semester unter euch mögen ihn kennen).
Wenig „user friendly“ das REACH Webinar
„A downstream user’s duties are triggered, when they receive a safety data sheet. And in particular there are some specific duties associated with the attached exposure scenario if there is one.“
Alles klar? Also wir würden das ja so formulieren: „Ihr müsst die Sicherheits-Datenblätter eurer Farben lesen und die Anweisungen darin beachten (z.B. zu Verwendung und Lagerung).“
Ich bette hier mal das Video für euch ein und verweise auf die Stelle 1:38:17 – 1:40:32. Es wird hier nach einer „explanation for tattoo artists in simple words“ gefragt. Seht selbst in dem Webinar-Mitschnitt.
Die Ungleichbehandlung verschiedener Branchen
Sehr interessant finde ich auch die Reaktion auf den Vergleich zum Umgang mit Tabak (1:24:05 – 1:25:58). Die nette Dame konnte sich das Schmunzeln angesichts der Diskrepanz nicht verkneifen. Man ist sich dessen offensichtlich bewusst, sieht jedoch keinen Korrekturbedarf, zumindest nicht auf Seiten von ECHA.
Wenig Hoffnung für Blue 15:3 und Green:7
Wichtige Botschaft aus dem Webinar war sicherlich der Hinweis, dass für evtl. Änderungen an dem Appendix, also auch Entfernung von konkreten Limits oder Verboten, mit einer Vorlaufzeit von nicht unter 1-2 Jahren zu rechnen sei. Zudem verwies man darauf, dass ja bereits verschiedene Hersteller Farben mit alternativen Pigmenten anböten bzw. ankündigen. Es bestünde also offensichtlich kein so großer Handlungsbedarf, wie im Vorfeld aus der Branche kommuniziert.
Für die Tätowierer*innen wird dies bedeuten, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, dass sich ca. 2/3 der Farben in ihren wesentlichen Eigenschaften ändern werden (Intensität und Haltbarkeit der Farben, Verhalten beim Einbringen in der Haut etc.). Nach eurer Umstellung auf neue Farben (durch REACH Januar 2022) steht euch also eine noch gravierendere Umstellung Januar 2023 bevor.
Zu dem (hoffentlich) Wunder geht es hier: Save The Pigments
Informations-Pflicht vs. Dokumentations-Pflicht
Wir hatten selbst um Klarstellung gebeten, inwieweit die Informationspflicht, die ihr seit dem 4.1.2022 gegenüber euren Kunden habt (siehe unseren Infoletter zu REACH konkret) zwingend schriftlich erfolgen muss. Die gute Nachricht ist: Seitens der ECHA/REACH wurde bewusst keine Form vorgegeben. Die Information kann also mündlich erfolgen (Video 1:12:37 – 1:14:04).
Der Haken daran ist die Formulierung, dass sich diese Frage im Zusammenspiel zwischen Behörden und Industrie entwickeln wird bzw. soll. Das lässt leider Spielraum für Interpretationen bei evtl. Streitigkeiten vor Gericht. Ähnlich dem Thema EVE empfiehlt es sich also auch bei den Farben, die Schriftform zu wählen zwecks der Nachweisbarkeit. Allerdings kann man diese Lücke durchaus nutzen.
Abweichend zu unserer Empfehlung aus dem ersten Infoletter zu „REACH konkret“ kann man die praktische Umsetzung dann evtl. sogar vereinfachen:
- Auf der Einverständniserklärung ergänzt man einen Passus zum Ankreuzen durch den Kunden: „Ich bestätige, dass mir die nach der geltenden REACH-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 gebotenen Informationen zu den verwendeten Tätowierfarben zur Verfügung gestellt wurden. Angaben zu Mindesthaltbarkeit sowie Charge erfahre ich (aus Gründen der Praktikabilität) beim Tätowiervorgang selbst (Sichtprüfung der Farbflaschen).“
Am Ende der EVE hängt man dann einfach ein, zwei Seiten an mit der Liste aller Farben aus dem eigenen Bestand, egal, ob diese beim Termin verwendet werden, oder nicht. Die Liste sollte zu jeder Farbe folgende Informationen enthalten: Hersteller, Name der Farbe, Inhaltsstoffe sowie Hinweise zur Verwendung und Gefahren. - Man erstellt sich ein Formular mit der Liste der Farben aus seinem Bestand (nun ohne Haltbarkeit und Chargennummer, Hersteller und Name der Farbe genügen) und muss dann nur noch diejenigen ankreuzen, die bei dem Termin zur Anwendung kamen.
Das sollte die Dokumentation erheblich vereinfachen. Mit den richtigen, individuell angepassten Formularen ist so eine Termindokumentation dann in weniger als einer Minute abgeschlossen (mit unserer Lösung kissSign sogar komplett papierlos und rechtssicher). Und Leute, nicht vergessen: Das Thema Termindokumentation hat sich die Branche selbst in die DIN Norm 16179 geschrieben. Und auf diese Norm haben alle, wirklich alle während der Corona-Zeit eifrig verwiesen.
Die schriftliche Dokumentation ohne Lotnummer und MHD geht natürlich nur so lange, bis Gerichte dies irgendwann dann doch anders entscheiden. Aber bis dahin ist es aus unserer Sicht legitim, so zu verfahren. Wir halten euch aber natürlich auf dem Laufenden.
Euer